Kunst
Gruss aus Buenos Aires: Der Basler Künstler Chris Hunter erlebt die Krise in Argentinien, allerdings anders als hier
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Der Basler Künstler Chris Hunter lebt derzeit in Argentinien. Dort ist auch Krise, aber irgendwie anders als hier.
Das Coronavirus ist ein globaler Gleichmacher. Diese seltsame infektiöse, organische Struktur, die Virologen nicht einmal zu den Lebewesen rechnen, aber als dem Leben nahestehend betrachten, dieses undefinierbare Etwas versetzt die Menschen weltweit in die gleiche Lage. «Wir sitzen alle aus demselben Grund zu Hause, auch wenn wir uns auf der anderen Seite des Planeten befinden.»
Das sagt Chris Hunter während eines Gesprächs über Skype. Der aus dem bündnerischen Flims stammende, seit zehn Jahren in Basel wohnhafte Künstler lebt derzeit in Buenos Aires. Er ist Gast in einem der Ateliers der Schweizer Städtekonferenz. 27 Ortschaften teilen sich weltweit Künstlerateliers. In der argentinischen Hauptstadt stehen in einem Haus drei Zimmer mit Arbeits- und Gemeinschaftsräumen zur Verfügung.
Hunter ist seit anfang Januar dort, sein Stipendium läuft bis Ende Juni. Und er hat sich entschieden, vorerst zu bleiben, was nicht ganz einfach war. «Es war und ist ein Hin und Her», sagt der 36-Jährige. Um sich selbst mache er sich im Moment weniger Sorgen. «Aber wenn mit der Familie oder mit dem Partner in der Schweiz etwas passiert, stellt sich natürlich die Frage, wie schnell ich heimkomme.»
Der Gedanke an Rückkehr hat auch etwas Paradoxes
Der Bündner teilt das Haus mit Ellise Perrin, einer Clownin aus Neuchatel, und Martina Baldinger, einer Künstlerin aus Olten. «Wir haben die Frage der Heimkehr zu dritt besprochen. Die Entscheidung zu bleiben, war relativ schnell klar», erklärt Hunter. Widerstand sei von den Familien, den Liebsten zu Hause gekommen, vor allem als das EDA alle Schweizer Reisenden dazu aufgefordert hat, so rasch wie möglich heimzukehren.
Jemand im EDA habe ihm jedoch auf Nachfrage erklärt, dass die Aufforderung Touristen betreffe, nicht Schweizer, die im Ausland wohnen. Die seien in einer anderen Situation als der Reisende, der plötzlich vor geschlossenem Hotel auf der Strasse lande.
Der Gedanke an Rückkehr habe aber auch etwas Paradoxes an sich. Wieso soll man von einem Land, wo es noch wenige Ansteckungen gibt, in eines reisen, wo es viele gibt? Bleiben oder heimkehren, diese Frage werde ihn sicher weiterhin beschäftigen, sagt Hunter.
Ein Land kommt von der Pleite in die Krise
In Argentinien gilt seit dem 20. März die Ausgangssperre. Nur Gänge ins Lebensmittelgeschäft und in die Apotheke sind erlaubt. Zur Arbeit kann nur, wer eine Bestätigung des Arbeitgebers auf sich trägt. Hilfsprogramme für die Wirtschaft sind zwar angekündigt, nur auf ganz anderem Niveau als in Europa. Die Ressourcen des Staates haben sich seit der Krise im Jahr 2000 nicht erholt. Argentinien ging seither drei mal Pleite.
Auch in Buenos Aires sind die Schulen geschlossen. «Viele öffnen aber am Mittag ihre Speisesäle», erzählt Hunter. Gerade in den armen Vierteln sei die Mensa der einzige Ort, wo Kinder und Jugendliche einmal pro Tag eine anständige Mahlzeit bekommen.
Folklore für Touristen, Bier für Einheimische
Das Atelierhaus liegt in La Boca, einem ehemaligen Hafenviertel, das von italienischen Einwanderern erbaut wurde. Den Namen des Quartiers kennt ganz Südamerika, wegen der Atlético Boca Juniors, einer Grossmacht im argentinischen Fussball. Ein Tourismusmagnet im Viertel ist der Caminito, eine von bunt bemalten Häusern gesäumte Fussgängermeile.
Jeweils um 17 Uhr geht es dort zu wie nach einer Theatervorstellung, erzählt Hunter. Die Souvenirshops klappen ihre Läden hoch, die folkloristischen Tangotänzer steigen aus den Kostümen, die Touristenbusse rauschen ab. Zurück bleiben Einheimische, die in Trainerhosen am Strassenrand sitzen und ihr Feierabendbier trinken. Ausschliesslich Einheimische, denn Individualreisenden wird vom Besuch des Viertels dringend abgeraten, vor allem nachts.
Die Experten für diese Ausnahmesituation
Die argentinische Metropole wäre im Grunde ein riesiges Inspirationsfeld, es zu erkunden der eigentliche Zweck des Atelieraufenthalts. Nun aber sind die Künstler in einer Art Kloster gestrandet. Chris Hunter trifft dieser Ausnahmezustand nicht unvorbereitet. Er arbeitet auch in Basel tagelang alleine in seinem Atelier. Künstler sind Experten für das, was jetzt Millionen Menschen auf dem Planeten erfahren: auf sich selbst zurückgeworfen sein.
«Wir sind sicher mehr geübt darin, mit uns selbst und der verstreichenden Zeit umzugehen», sagt Hunter. Gerade dies sei ja die Ressource der Kunst. «Vielleicht ist es gut, sich während dieser Wochen mit selbst gewählten Dingen herauszufordern, damit die von aussen bestimmte Situation nicht das einzige ist, das dich herausfordert,» sagt der Künstler. «Hoffen wir, dass diese Zeit zu einem persönlichen und kollektiven Lernprozess wird, aus dem frische Energie rauskommt.»
Hunter gibt aber auch zu, dass er froh ist, in einer kleinen Gemeinschaft zu wohnen, in einem Haus, das genügend Platz bietet. Mehr als zuvor kochen er und seine Mitstreiterinnen gemeinsam, zeichnen zusammen, oder sie gehen zu zweit, schick angezogen, ins Atelierkonzert der dritten Mitbewohnerin. Auch sie müssen neue Rituale des Zusammenlebens finden.
Besser im Umgang mit der Krise als mit Normalität
Dem Künstler ist bewusst, dass er sich in einer privilegierten Situation befindet. Im Gegensatz zu seinen Künstlerfreundinnen in Europa hat er ein Stipendium, das noch bis Ende Juni reicht. «Danach beginnt dann wieder eine neue Geschichte», sagt Hunter.
Was ihn mehr umtreibe als die Sorge um die Zukunft, sei die Tatsache, wie unterschiedlich er und die Daheimgebliebenen die Situation wahrnehmen. «Ich glaube, die Menschen hier sind entspannter, obwohl sie sich äusserst diszipliniert an die Ausgangssperre und die Hygienemassnahmen halten.
«Einerseits erlebe ich die Argentinier als sehr pragmatisch und praktisch. Andererseits stehen sie mit einem Bein im Feld der Magie.» Der magische Realismus Südamerikas sei spürbar und zeige sich beispielsweise in der Begeisterung der Argentinier für das Tarot, jenes Kartenspiel, in dem die Mythologie der Fahrenden abgebildet ist.
Da gibt es die 13. Karte, den «Tod». Diese steht in der Symbolik jedoch nicht bloss für das schreckliche Ende, sondern für Erneuerung. Es könnte ja sein, dass mit solchen Bildern im Kopf, diese Krise anders zu ertragen ist. «Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. Vielleicht ist das nur die romantische Sicht eines Schweizers.»
Bestätigt wird Hunters Wahrnehmung jedoch von seiner argentinischen Spanischlehrerin, die sage: «Die Argentinier können besser mit Krisen umgehen, als mit der Normalität.»
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